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30 Juni, 2006

 

CD Andreas Oswald, Rezension

Deutsche Avantgarde vor Bach

Andreas Oswald? Nie gehört? – Das sollte sich schnell ändern! Denn mit der Einspielung von neun Sonaten des Thüringer Komponisten macht das Ensemble Chelycus in seinem Debüt-Album auf einen Komponisten und seine Musik aufmerksam, der unser Interesse unbedingt verdient. Und das liegt nicht nur daran, dass Andreas Oswald (1634– 1665) in Eisenach als Organist ein Amtsvorgänger Johann Sebastian Bachs war. Als Sohn eines Weimarer Hoforganisten geboren und mit diesem später nach Eisenach umgesiedelt, hatte er die Möglichkeit in einem der wichtigen musikalischen (und künstlerischen) Zentren seiner Zeit aufzuwachsen und zu lernen, denn der Weimarer Hof (und seine Hofkapelle) stand nach dem Dreißigjährigem Krieg im ständigen Austausch mit zwei der wichtigsten Höfe Europas: Dresden und Wien. Oswalds Musik spiegelt die Kenntnisse, die er sich in diesem Umfeld aneignen konnte, handwerklich gekonnt und mit mutiger Experimentierfreude, wieder. Im Weimarer Kontext sind auch die 18 erhaltenen Sonaten Andreas Oswalds entstanden, die Grundlage für die vorliegende CD-Produktion sind. Von 1662 ist eine Quelle überliefert, die bis auf eine Sonate alle übrigen vereint und man kann in ihnen daher die Werke eines Mitte Zwanzigjährigen erblicken. Der Einfluss vergleichbarer Werke seiner Zeitgenossen, wie Johann Heinrich Schmelzer (ca. 1620-1680), ist hörbar, doch immer wieder ist auch das Bemühen Oswalds zu bemerken, sich davon abzusetzen. Eine sorgfältige Editionsarbeit dieses in Weimar neu entdeckten kleinen Oeuvres von Andreas Oswald ging der Einspielung voraus. Auf den historischen Instrumenten der acht internationalen Mitglieder von Chelycus pulsieren die oft überraschenden Rhythmen („absurd“ nennt sie das informative Begleitheft), stehen schroffe Akzente neben weit geatmeten Phrasierungen. Das ist lebendige Musik, voller Leidenschaft und Überzeugung umgesetzt. Die Klangästhetik scheint in diesen Kompositionen über den formalen Experimenten zu stehen (und man darf getrost einmal darüber nachdenken, ob das nicht einem Komponisten wie J. S. Bach überlegen ist). Die Kombinationen von Bläsern, Streichern und Orgel sorgen für wechselhafte Couleurs, Variabilität im Klangbild und nicht zuletzt auch für Witz. Formal bewegen sich die Kompositionen auf Ergründungen zwischen Variationsformen und eigenwilligen Avantgardismen Oswalds. Michael Fuerst spricht in seinem Begleittext gar einmal von Assoziationen an Jazzmusik – und der Gedanke ist nicht ganz von der Hand zu weisen, wenn man beispielsweise die Sonata XI hört. Tanzrhythmen, Taktüberlagerungen, konzertierende Momente, Themenreihung, virtuose Passage – die Musik Oswalds ist stets auf der Suche nach Originalität und neuen Ausdrucksmöglichkeiten. Soviel Abwechslung und Gestaltungswille bedarf eines deutlichen Klangkonzeptes der Interpretation – und genau das bietet das Ensemble Chelycus mit seinem klaren, transparenten Ton im dialogischen Zusammenspiel. Individuell werden die einzelnen Instrumente geführt, doch dabei stets auch im Bezug zu den übrigen gehalten. Die akkuraten Ansätze gehen mit einer liedhaft empfundenen Melodieführung und durchaus emotionalen Steigerungen ein überzeugendes Bündnis ein. Mit der Akustik der Schlosskapelle in Gottorf ist für die Einspielung ein Raum gefunden worden, der Ensemblespiel und Orgelbegleitung mit trockenem aber sich voll entfaltendem Klangbild zum harmonischen Ganzen fügt.

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